
Wenn die Deutschen über die Börse sprechen, ist das Bild einer Lotterie das eines freundlichen Vergleichs. Nach dem Ruf des Börsenparketts sind Gewinne an der Börse so zufällig wie der Erfolg eines Lottoscheins. Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass Händler und Mitarbeiter der Börsen Hamburg, Hannover und Düsseldorf nun den Begriff „Zufallsgewinn“ zum Börsenquatsch des Jahres 2022 gewählt haben. Der Boden ist so ein egoistischer Spott?
Genau genommen spielte der Begriff des „zufälligen Gewinns“ im vergangenen Jahr aber auf der politischen Bühne eine Rolle, nicht auf der herzgeräucherten Eichentafel der Börse: Wind-, Kohle- oder Atomstrom kann jeder günstig produzieren. Auf dem Höhepunkt schrecklicher Strompreise. Rückwirkend zum 1. Dezember will die Bundesregierung nun einen Teil der Zufallsgewinne „https://news.google.com/__i/rss/rd/articles/“ „abschöpfen“, sagt Rolf Demmel, Leiter der Börse Düsseldorf. Im Sommer wurde humorvoll darüber spekuliert, ob Eishersteller oder Brauereien die nächste Branche sein würden.“
Allerdings lohnt es sich, die seltsame Karriere des Wortes nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich zu sezieren. Auf den ersten Blick wirkt das Wort wie ein zusammengesetztes Wort aus den beiden Buchstaben Chance und Profit, doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich eine sprachliche Doppelung. Zufall bedeutet heute einfach ein „überraschendes Ereignis“, kommt aber sprachgeschichtlich aus dem Mittelneuhochdeutschen. versehentlich woraus einem „Eigentum oder Nutzen zuwächst“. Genau genommen trägt der Zufall schon an sich Gewinn. Man kann auch sagen: Chancen gewinnen.
So hinterhältig wie diese Doppelzüngigkeit war auch die Wortakrobatik des Berliner Politikers, als er den Begriff am 4. September vergangenen Jahres in die politische Diskussion einführte. Während den ganzen Sommer über von “exzessiven Profiten” großer Ölmultis die Rede war, wollten vor allem die Grünen “Steuern abschaffen”, was dem liberalen Finanzminister Christian Lindner nicht passte – weder politisch noch sprachlich. An jenem Sonntag einigte sich die Berliner Ampelkoalition auf eine Formel für die “Zufallsgewinne” der Stromproduzenten, die sie künftig “abschöpfen” wollen. und die formal keine Steuern sind.
in Sueddeutsche Zeitung Erstmals verwendet wurde der Begriff übrigens am 26. Juni 1971, als die ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen fleißig als Bauland umdeklariert wurden. Wohnungsbauminister Lauritz Lauritzen, SPD, sprach damals vom brachliegenden Vermögenszuwachs, einer reinen Siegeschance für die „Glückskönige“. Lauritzen selbst füllte die Lücke im Lotto, schätzte den Vermögenszuwachs durch Landumverteilung auf sieben Milliarden Mark im Jahr, 20 Millionen Mark am Tag – oder „40 Hauptgewinne im Lotto“.
Hier kommt die dritte Absurdität des Begriffs ins Spiel: Den Stromproduzenten muss ein Teil ihrer Gewinne entzogen werden, weil sie letztlich zufällig entstehen. Bei Lotterien hingegen kassieren die Gewinner steuerfrei Geld. Der Grund? Dies ist nur ein Zufall.