
Stand: 17.12.2022 14:45
Ob Rechenzentrum oder Industrieunternehmen: Viele Unternehmen lassen ihre Abwärme ungenutzt. Damit könnten Hunderttausende Haushalte beheizt werden. Die Bundesregierung plant daher eine Teillieferpflicht.
Für Ingmar Kohl ist es ein einmaliges Projekt in Deutschland. Der Chef des Energieversorgers Mainova steht auf einer Baustelle in Frankfurt am Main und erklärt das Prinzip: „Die Abwärme aus dem Rechenzentrum kommt mit etwa 30 Grad an und dann erhitzen wir sie mit Hilfe von zwei großen Heizkesseln wieder auf etwa 70 Grad Pumpen hinterher.“ Das Telehouse-Rechenzentrum befindet sich auf der anderen Straßenseite, in unmittelbarer Nähe der Baustelle, auf der derzeit 1.300 neue Wohnungen entstehen. Die Baufertigstellung ist für 2025 geplant.
Per Pipeline soll das Rechenzentrum später Haushalte mit 2.400 Megawattstunden Wärme pro Jahr versorgen, das wären 60 Prozent des benötigten Bedarfs im Neubaugebiet. Der Rest wird über die normale Fernwärmeleitung der Stadt abgedeckt. Mainova und Telehouse haben bereits einen Liefervertrag über 15 Jahre unterzeichnet. Auch die genutzte Abwärme – Telehouse stellt sie übrigens kostenlos zur Verfügung – soll dem Klimaschutz dienen. Im Vergleich zu einer Gasheizung würden jährlich 400 Tonnen CO2 eingespart.
Der Druck auf den Abwärmeerzeuger steigt
Insgesamt gibt es rund 60 Rechenzentren in Frankfurt am Main, einem buchstäblichen Hotspot in Deutschland. Kohl erklärt auch, warum Stadt und Versorger bei der allgemeinen politischen Stimmung nicht viel früher mit der Abwärmenutzung begonnen haben. „Ich denke, es hat an Druck gefehlt, mit Volldampf in Richtung einer klimaneutralen Wärmeversorgung zu gehen.“ Hinzu kommt, dass Rechenzentren heute viel größer sind als früher und die Nutzung von Abwärme jetzt wirklich sinnvoll ist.
Der IT-Branchenverband Bitkom gab in einer Sommer-Pressemitteilung bekannt, dass rund 350.000 Wohnungen mit Abwärme aus deutschen Rechenzentren versorgt werden könnten. Dies entspricht fast dem Bundesland des Stadtstaates Bremen. Kein Wunder, dass das Bundeswirtschaftsministerium Betreiber verpflichten will, Abwärme künftig intensiver zu nutzen. Laut dem Gesetzentwurf des Ministeriums Robert Habek sollen alle ab Januar 2025 gebauten Rechenzentren mindestens 30 Prozent ihrer Energie wiederverwenden. Ab 2027 gebaute Serverfarmen müssen 40 Prozent der Abwärme nutzen – entweder für sich selbst oder für andere.
Industrie gegen gesetzliche Nutzungspflicht
So sehr die IT-Branche mit klimafreundlicher Abwärme wirbt, von einer rechtlichen Durchsetzung hat sie nichts zu gewinnen. Die strengen Prozentsätze im Entwurf bergen die Gefahr eines „Rechenzentrums-Präventionsgesetzes“, sagt Anna Kraft vom Deutschen Verband Datenwirtschaft (GDA). „Wenn das Gesetz in dieser Form angenommen wird, wird der Bau neuer Rechenzentren unmöglich. Damit riskiert die Bundesregierung die erfolgreiche Umsetzung ihrer Digitalstrategie.
Der Fokus liegt nicht mehr nur auf Rechenzentren. Auch in anderen Wirtschaftszweigen schlummern viele Energiepotenziale. Bisher sind jedoch nur wenige Städte und Gemeinden auf die Idee gekommen, dieses Potenzial für die Beheizung von Wohnungen zu nutzen. Früher ließen sie ihn bei der Einspeisung der Abwärme ihrer Müllheizkraftwerke in das Fernwärmenetz oft an. Die große Ausnahme bilden noch Kooperationen mit privaten Unternehmen. So nutzt die Stadt Karlsruhe seit 2010 die Abwärme einer benachbarten Mineralölraffinerie zur Beheizung von rund 32.000 Wohnungen, öffentlichen Gebäuden und Unternehmen.
Das Fraunhofer Institut analysiert industrielle Abwärme
Ein EU-finanziertes Projekt namens sEEnergies hat berechnet, wie viel Potenzial in der Branche steckt. In Deutschland war unter anderem das Fraunhofer-Institut für Systemforschung und Innovation ISI beteiligt. Das Team um die Wissenschaftlerin Pia Manz hat 1.608 Industriestandorte in der EU unter die Lupe genommen, in Deutschland 310. Das Ergebnis der Datenbankrecherche: Allein in Deutschland werden jährlich zwischen 25 und 100 Petajoule industrieller Abwärme verbraucht. „Damit könnte der Wärmebedarf von einer halben bis zwei Millionen Haushalten gedeckt werden“, sagt Manz. “Wir waren überrascht, wie wenig es genützt hat.”
In die Studie flossen Daten aus der chemischen Industrie, der Eisen- und Stahlindustrie, der Produktion und Raffinerien von Zement, Glas und Papier ein – also nur besonders energieintensive Unternehmen, nicht einmal die gesamte Branche. Eine geeignete Abwärmequelle darf maximal zehn Kilometer von der nächsten Fernwärmeleitung entfernt sein. „Die meisten Standorte lagen im Umkreis von zwei Kilometern. Insofern würde ich vorsichtig schlussfolgern, dass die Entfernung nicht das Haupthindernis ist“, sagt Manz.
Hohe Kosten dämpfen Linienausbau
Bei einigen Projekten kann jedoch die Entfernung der entscheidende Faktor dafür sein, ob eine Verrohrung zur Abwärmequelle wirtschaftlich sinnvoll ist. Beispiel Frankfurt am Main: Das Rechenzentrum direkt gegenüber war für den Energieversorger Mainova ein Glücksfall. Mainova-Projektleiter Kohl erklärt, dass vom Neubaugebiet bis zum Rechenzentrum rund 500 Meter Heatpipes verlegt werden. „Je nach Konstellation kann es bis zu einem Kilometer interessant sein. Ansonsten wird es sehr schwierig.“ Gerade in einer Großstadt ist es aufgrund des stark verdichteten Bodens oft sehr teuer, Kabel unterirdisch zu verlegen. Sein Unternehmen kalkuliert für einen Meter Fernwärmeleitung mit einem durchschnittlichen vierstelligen Euro-Betrag.