Mögliche Bewerbung für Olympische Spiele: Deutschland ist völlig “abgemeldet”

Sportreferentin Sylvia Schenk
Mögliche Bewerbung für die Olympischen Spiele: Deutschland ist komplett “abgemeldet”

Sylvia Schenk hält die deutsche Sportpolitik international für naiv

Sylvia Schenk hält die deutsche Sportpolitik international für naiv

© Arne Dedert / DPA

Vernichtendes Urteil: Deutschland hinke sportpolitisch hinterher, sagt Ex-Leichtathletin und Sportfunktionärin Sylvia Schenk. Der DFB hat das Land in Katar in Verlegenheit gebracht, und der DOSB betreibt eine mögliche Olympia-Bewerbung sehr dilettantisch.

Sylvia Schenk kennt sich mit Sportpolitik aus. Der ehemalige Mittelstreckenläufer, Olympiateilnehmer 1972 in München, leitet den Arbeitskreis Sport bei Transparency International Deutschland. Sie war in verschiedene sportliche Aktivitäten involviert, unter anderem als Mitglied des Beratungsausschusses für Menschenrechte der FIFA, und war an der Bewerbung Hamburgs für die Olympischen Sommerspiele 2024 beteiligt, die letztendlich in einem Referendum abgelehnt wurde. Und sie war als Menschenrechts-Volontärin bei der Weltmeisterschaft in Katar.

Schenk gehört nicht zu jenen Menschen, die sofort einer obsessiven Empörung verfallen, wenn sie das Wort Gianni Infantino (Fifa-Boss) hören. In der Debatte um die Menschenrechtslage in Katar plädierte sie für eine differenziertere Sicht auf das Land, zu dem viele Deutsche schnell eine definitive Position bezogen (und auch sonst zur WM und zum DFB-Team).

Schenk verlangt eine differenzierte Betrachtung

Gleiches gilt für vorschnelle Urteile über den viel kritisierten Weltfußballverband oder das Internationale Olympische Komitee (IOC). Gerade in Deutschland haben es sich viele Kritiker zu leicht gemacht, so lässt sich Schenks Blick auf die zentralen Ereignisse des Sports und der internationalen Sportpolitik zusammenfassen.

Jetzt, nach dem gesamtdeutschen Debakel in Katar, glaubt Schenk, dass dem deutschen Sport das nächste Desaster bevorsteht. Der Deutsche Olympische Sportbund DOSB will eine Debatte darüber anstoßen, ob sich Deutschland für Olympia 2036 oder 2040 bewerben soll. Aus der Politik kamen nach der Ankündigung schnell positive Signale. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher zeigte sich beeindruckt von der Idee, dass sich mehrere Städte (etwa Berlin und Hamburg) gemeinsam bewerben.

Schenk findet das naiv. „Das würde ich sehr gerne erleben, aber dafür haben wir im Moment nicht alle Voraussetzungen, wir müssen erst einmal viel arbeiten und in der Sportpolitik wieder zu internationalen Standards zurückkehren“, sagte sie. Interview für den Radiosender NDR Info.

Sportpolitisch hat sich Deutschland von der Weltbühne verabschiedet

Denn sportpolitisch habe sich Deutschland längst von der Weltbühne verabschiedet, sagt Šenk. Der DOSB beispielsweise hat die ganzen Ereignisse der vergangenen Jahre verschlafen. Heutzutage ist es nicht mehr üblich, wie in Hamburg einfach eine tolle Bewerbung einzureichen, sondern man muss vorher reden, Kontakte knüpfen, Möglichkeiten ausloten. Das IOC entscheidet vorab, ob die Bewerbung rentabel ist.

Auch das beliebte politische Argument, Sportstätten und Infrastruktur seien in Deutschland vorhanden, um eine solche Großveranstaltung ohne großen Aufwand durchzuführen, ist nicht stichhaltig: „… keine der derzeit in Deutschland verfügbaren Sportstätten entspricht den heutigen olympischen Standards, insbesondere nicht der olympischen Norm für 2040 oder 2044. Es ist also Unsinn zu sagen, dass wir bereits alles haben.“

Auch Šenk glaubt nicht an die wahren Absichten des DOSB. Sie vermutet, dass der Antrag nur der Stärkung der Sportförderung in Deutschland dient, weil der Antrag eine solche Wirkung entfaltet. „Ich denke, das ist im Moment das Kalkül des Deutschen Olympischen Sportbundes. Sonst würde er sich erst internationale Kenntnisse aneignen, bevor er auf nationaler Ebene große Wellen schlägt.“

Schenk: Dem deutschen Sport fehlt der Realitätssinn

Sportpolitisch sei Deutschland “komplett abgemeldet”. „Dem deutschen Sport fehlt es an Realitätssinn, es fehlt an Internationalität, es fehlt an politischem Flair, und doch haben wir gerade in Katar gesehen, wie der DFB sich und ganz Deutschland lächerlich gemacht hat. Wir müssen ganz klein anfangen und jetzt nicht über Olympia reden.“ Und wer soll Deutschland im Falle einer Olympia-Bewerbung unterstützen?, fragt Schenck. „Wir haben gerade in Katar Afrika und Asien entfremdet, (… ), wer sollte eigentlich für Deutschlands Kandidatur für die Olympischen Spiele stimmen?”

Quellen: „NDR Info“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“

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