Eine ukrainische Familie erlebt Weihnachten in Deutschland

Mit einem Baby im Arm öffnet Anastasia Kramarenko die Tür zu ihrem kleinen Königreich. Draußen glitzert der Schnee, drinnen ist ein warmer, aufgeheizter Raum weihnachtlich dekoriert: Grüne Papiertannen schmücken die Vitrine, Sterne in Blau und Gelb – den Farben der Ukraine – hängen am Geländer der Wendeltreppe, mehrere Adventskalender mit offenen Türchen werden an die Wand gehängt. Baby Sofia, die ruhig in den Armen ihrer Mutter klopft, ist sechs Monate alt und trägt einen roten Overall mit Weihnachtsbäumen und Schneemännern.

Das vorübergehende Zuhause der Familie befindet sich in einem ehemaligen Jesuiteninternat in Bonn. Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, haben dort seit Ende Februar Zuflucht gefunden. Familie: Das ist Anastasia Kramarenko mit ihren Eltern und ihren zwei Kindern. Sie ist eine zierliche 28-Jährige mit warmer Persönlichkeit und arbeitete als Englischlehrerin in der Ukraine.

Soldaten und Panzer an den Wänden

Neben der Weihnachtsdekoration hängen eine Reihe bunter Bilder ukrainischer Soldaten, gemalt von Kramarenkos sechsjährigem Sohn Misha, an den Wänden: Ein Mann in Uniform steuert mit einer Hand einen Panzer, mit der anderen eine ukrainische Flagge. Auf einem anderen Bild hockt ein Soldat in grüner Ausrüstung mit einer Kalaschnikow am Boden und zielt.

„Letztes Jahr war Superman noch sein größter Held“, sagt die junge Mutter auf Englisch. In diesem Jahr sind es Männer, die ihr Land verteidigen – und „Patron“: ein Spürhund, der russische Minen erschnüffelt, ein Star in der Ukraine. Mischa hat es schwarz und braun gestrichen, die kleine Hundeweste in grün.

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Die Familie musste den Ehemann und Vater verlassen

Anfang März floh Kramarenko zusammen mit ihren Eltern und ihrem Sohn aus ihrer Heimatstadt Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine im Osten des Landes, nahe der Grenze zu Russland. Sie war zu diesem Zeitpunkt im sechsten Monat schwanger. Ihr Ehemann Vadym, der Vater des ungeborenen Kindes, musste bleiben. Männer unter 60 Jahren dürfen die Ukraine in der Regel nicht verlassen und müssen das Land verteidigen. Vadym ist 29 Jahre alt und arbeitet seitdem als Ingenieur in einer Militärfabrik für die Reparatur von Kriegsfahrzeugen. Als sie über ihn spricht, bricht Kramarenko in Tränen aus, entschuldigt sich kurz, holt Wasser aus dem Badezimmer, kommt zurück und sagt: „Ich will darüber reden. Wir müssen.“

Der ungewisse Kriegsverlauf in ihrer Heimat macht es Flüchtlingen aus der Ukraine schwer, Zukunftspläne zu schmieden. Trotz der psychischen Belastungen durch Flucht und Trennung schreitet die Integration gut voran, zeigt die Studie.

Eine Woche nach Kriegsbeginn stellten sie fest, dass die Geburt in Charkiw zu riskant war: Als russische Truppen begannen, Raketen in der Nähe von zivilen Zielen abzufeuern – einschließlich Geburtsorten. In einem arbeitete ihre Tante als Gynäkologin. Sie berichtete, dass die Fenster mitten in der Geburt zerbrochen seien. Alle hätten in den Keller rennen sollen.

Baby Sofia quietschte. Kramarenko steht auf und wiegt das Kind, um es zu beruhigen. „Sie hat Hunger“, sagt die junge Mutter und bringt den Brei. Ihr Ehemann Vadim lernte seine Tochter nur per Videoanruf kennen – das Paar ist fast täglich in Kontakt. Dies ist derzeit jedoch nicht immer möglich. Aufgrund russischer Angriffe auf kritische Infrastrukturen werden Internet und Strom häufig unterbrochen.

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Zwischen orthodoxer und deutscher Tradition

„Wir feiern dieses Jahr alles zweimal“, sagt Kramarenko. Zum Beispiel Nikolaus und Weihnachten. Wie die meisten Ukrainer ist die Familie orthodox, das heißt, sie folgt dem julianischen Kalender, der zwei Wochen hinter dem gregorianischen Kalender liegt. „Niemand weiß, wie man sich in so einer Situation verhält“, sagt die junge Mutter und lacht. „Wenn du deutsche Freunde hast und in Deutschland bist, aber gleichzeitig deine eigenen Traditionen bewahren willst.

Mit leuchtenden Augen erinnert sie sich an das traditionelle Weihnachtsfest aus ihrer Kindheit: Ihre Großmutter hat zwölf Gerichte gebacken, die in der orthodoxen Tradition die zwölf Apostel Jesu Christi darstellen. Die ganze Familie versammelte sich. Zweiter Gang: Kutya, ein Dessert aus Getreide, Honig, Rosinen, gehackten Walnüssen und Mohn. Man gehe davon aus, dass jeder, der einen Teelöffel davon isst, im neuen Jahr gesund bleibe, sagt Kramarenko. Hier will sie auch Essen zubereiten.

Anastasia Kramarenko

“Ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie Weihnachten hier verbracht wird.”

Vom 6. bis 7. Januar will er Eltern und Kindern ein unvergessliches Weihnachtsfest bereiten. Den geliebten Menschen Geschenke zu machen und die Weihnachtsstimmung zu teilen, ist das, was den „Weihnachtsgeist“ ausmacht, sagt sie. Sie plant für ihren Sohn eine Art Schnitzeljagd, bei der er Rätsel lösen muss, um seine Geschenke zu finden.

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Lotse für den neuen Zoll

Ein deutscher Freund lud sie im Dezember zu einer Dinnerparty ein. „Ich bin gespannt, wie hier Weihnachten verbracht wird“, sagt Kramarenko. Zu Ostern hatte ein Freund bereits Schokoladeneier für Mischa versteckt und dem Nikolaus erklärt, dass der Heilige ihm über Nacht Süßigkeiten in die Stiefel steckt. In der Ukraine gehen sie unter das Kopfkissen. „Sie ist unser Lotse für die deutsche Tradition“, sagt Kramarenko zufrieden.

Er checkt jeden Tag die ukrainischen Nachrichten, sucht nach guten Nachrichten, immer in der Hoffnung, dass der Krieg bald vorbei ist. Was sie antreibt: “Zu verstehen, dass nichts ewig währt.” Du musst dich um deine Kinder kümmern, ihnen zeigen, dass alles in Ordnung ist.

Die Ukrainerin erinnert sich an Momente der Freude nach der Flucht: die Einschulung ihres Sohnes im Sommer, der Besuch eines Vergnügungsparks zu seinem sechsten Geburtstag, ein Laternenumzug am Martinstag und ein Spaziergang über den örtlichen Weihnachtsmarkt.

Jede fröhliche Party ist traurig für ihren Mann, weil er nicht dabei sein kann. Trotzdem ist auch Anastasia Kramarenko dankbar: „Meine Kinder sind in Sicherheit, sie haben es warm, wir haben genug Essen und Kleidung. Hier können wir in Ruhe Weihnachten feiern.“ Er hofft, im Frühjahr zurückkehren zu können.

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